Die Heterogenität des Protests

Verstärkt durch die Flüchtlingskrise finden sich in Deutschland derzeit vielfältige Formen politischen Protests. Manche gehen auf die Straße, wobei vor allem die Kundgebungen von Pegida auf große mediale Resonanz stießen. Andere entscheiden sich auf ihrem Wahlzettel für eine Protestwahl, wovon seit 2013 insbesondere die AfD profitieren kann. Wieder andere, aber zum Teil auch die gleichen Akteure, sind vorrangig in sozialen Netzwerken aktiv. Was sind die spezifischen Auslöser für politisches Protest(wahl)verhalten im rechten politischen Spektrum?

Autor(en)
  • Dr. Hans-Jürgen Frieß Ipsos UU, Germany
  • Dr. Viola Neu Konrad-Adenauer-Stiftung, Hauptabteilung Politik und Beratung
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Dieser Fragestellung widmet sich eine Ipsos-Studie im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem Titel »Die Heterogenität des Protests«. Ziel der Untersuchung war es, mittels unterschiedlicher qualitativer Methoden eine möglichst große Bandbreite an Gründen und Motiven für politisches Protestverhalten zu erhalten. Dabei ging es sowohl um Wahlverhalten als auch um politischen Protest jenseits von Wahlen.

Heterogenität der Einstellungen
Die Befunde deuten darauf hin, dass monokausale Erklärungen, warum jemand die AfD unterstützt, zu kurz greifen. Die AfD-affinen Befragten lassen sich auf (fast) keinen gemeinsamen Nenner bringen. Sie sind eine äußerst heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Wegen und Begründungen, warum sie sich der AfD genähert haben. Auch sozialstrukturelle Muster ergeben sich nicht. Die Partei wird als Projektionsfläche sehr unterschiedlicher Wünsche, Bedürfnisse und Themen wahrgenommen.

Wahlmotive potenzieller AfD-Wähler
Dennoch gibt es jenseits der Heterogenität auch Gemeinsamkeiten, die sich eher in einer Grundstimmung ausdrücken. Die Befragten hatten häufig das Gefühl, dass sie nicht »gehört« würden, was sich sowohl auf Eliten als auch auf die eigene Situation bezieht, da sich viele in ihrer Meinung stigmatisiert und entfremdet wahrnehmen. Gleichermaßen – auch wenn viele Diskussionsbeiträge eher das Gegenteil bestätigen – wird eine Abgrenzung nach »rechts« vorgenommen. Eines der klassischen Erzählmuster ist, dass die »eigentliche« Meinung »DES Volkes« unterdrückt würde und man »das wohl noch sagen dürfe«. Hier scheint der Hauptgegner die als Unterdrückungsinstrument verstandene »Political Correctness« zu sein.

Verschwörungstheorien, exklusives Wissen und Fake News
Auch verschwörungstheoretische Argumentationen sind weit verbreitet, ohne dass es eine Verschwörung gibt, die alle teilen. Vieles wird nur ohne Konkretisierung angedeutet, läuft aber am Ende darauf hinaus, über exklusives Wissen zu verfügen. Gleichermaßen kursieren viele Fake-News. Häufig wird die Realität ausgekoppelt oder verdrängt und durch »alternative«  Erzählungen ersetzt, welche zwar ins eigene Weltbild passen, aber einer Überprüfung nicht Stand halten.

Politische Gesinnung als Resultat langfristig angestauter Frustrationen
Am ehesten lassen sich die Befragten über ihre Gefühlslagen zusammenfassen. Die eigene Situation ist zwar eher unproblematisch, doch wird sie in Beziehung zu anderen gesetzt und dann wird eine Verschlechterung erwartet. Während das Meinungsklima in repräsentativen Umfragen eher von Zuversicht, Vertrauen und Zufriedenheit geprägt ist, unterscheiden sich die Befragten hier deutlich. Daher kommen bei der Analyse Zweifel auf, inwieweit themenbezogene Politik hier ansetzen kann, in einer Zeit, in der Deutschland -  auch nach objektiver Betrachtung und im Vergleich zu anderen Ländern - eine Phase der Stabilität und Prosperität erlebt. Alles auf den Anlass Flüchtlingskrise zurückzuführen, scheint die Kausalitäten umzukehren. Vielleicht war die Flüchtlingskrise der »Trigger«, der die Grundhaltungen sichtbar machte, zusätzlich mobilisierte und einen politischen Arm fand. Vermutlich hat sich die psychische Gestimmtheit bereits vorher latent manifestiert und ist ein Resultat langfristig aufgestauter vielfältiger Frustrationen.


DIE AUTOREN


Dr. Hans-Jürgen Frieß arbeitet seit 1999 in der Markt- und Sozialforschung und ist seit 2008 bei Ipsos tätig. Er ist als Director in der Abteilung für qualitative Forschung bei Ipsos (Ipsos UU) u. a. für den Bereich Public Affairs verantwortlich. Nach dem Magister-Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Neueren Deutschen Literaturwissenschaft promovierte er im Fach Soziologie über das Castro-Regime auf Kuba. Während seiner Berufstätigkeit als Markt- und Sozialforscher sammelte Dr. Frieß zahlreiche nationale sowie internationale Erfahrungen in allen Bereichen der qualitativen Forschung und führte dabei vor allem Studien in den Bereichen der Sozial-, Politik-, Mobilitäts- und Kommunikationsforschung durch und veröffentlichte u. a. zu den Themen Migration, Klimawandel und qualitative Methodologie. Für seine innovativen Forschungsmethoden erhielt er zahlreiche Auszeichnungen (u. a. den Ipsos Innovation Award 2011 und 2012).

Dr. Viola Neu wurde 1964 in Ludwigshafen/Rhein geboren und ist seit 1992 Mitarbeiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sie studierte Politische Wissenschaft, Öffentliches Recht und Neuere Deutsche Philologie in Mannheim. Bis Mai 2000 war sie Leiterin der Abteilung Empirische Politikforschung, danach Leiterin des Teams Politische Kommunikation, Meinungs- und Parteienforschung sowie seit 2011 Leiterin des Teams Empirische Sozialforschung und seit 2017 zusätzlich stellvertretende Leiterin in der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Berlin.

Autor(en)
  • Dr. Hans-Jürgen Frieß Ipsos UU, Germany
  • Dr. Viola Neu Konrad-Adenauer-Stiftung, Hauptabteilung Politik und Beratung

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