Steffen Goik, Ipsos
Steffen Goik, Ipsos

„Wer heute noch so innoviert wie vor fünf Jahren, lässt enormes Potenzial ungenutzt und riskiert, den Anschluss zu verlieren“

Innovation steht vor einem Paradigmenwechsel: Generative KI verändert die Spielregeln, Konsumentenbedürfnisse wandeln sich in Echtzeit – und klassische Prozesse stoßen an ihre Grenzen. Im Gespräch zum Watchlist 2026 Webinar auf marktforschung.de erklärt Steffen Goik, wie Mensch und Maschine künftig gemeinsam innovieren – und worauf es wirklich ankommt.

Herr Goik, die Watchlist 2026 zeigt, wie dynamisch sich Marktforschung und Innovation gerade verändern. Warum ist es aus Ihrer Sicht genau jetzt so wichtig, Innovationsprozesse neu zu denken?

Steffen Goik: Wir leben in einer Zeit fundamentaler Veränderungen, die Unternehmen unter Druck setzen, schneller und smarter zu innovieren. Das Paradoxe ist: Obwohl die Mehrheit der Verbraucher offen für Neues sind, scheitern ca. drei Viertel aller Innovationen am Markt.

Genau deshalb ist es jetzt so entscheidend, umzudenken: Wir erleben einen technologischen Paradigmenwechsel, allen voran durch generative KI. 

Dies ist keine graduelle Verbesserung, sondern verändert die Spielregeln fundamental. Wir können heute riesige, unstrukturierte Datenmengen – von Social-Media-Posts bis zu Produktbewertungen – nutzen, um verborgene Bedürfnisse aufzudecken. Gleichzeitig können wir Ideen, Konzepte und sogar Designs in Tagen statt Monaten entwickeln. Wer heute noch so innoviert wie vor fünf Jahren, lässt enormes Potenzial ungenutzt und riskiert, den Anschluss zu verlieren. Es geht darum, diese neue Innovationskraft strategisch zu nutzen.

Ipsos spricht von einer „kritischen Lücke“ zwischen Innovationsbereitschaft und Akzeptanz neuer Produkte. Was läuft in klassischen Innovationsprozessen heute schief?

Steffen Goik: Diese Lücke entsteht, weil klassische Innovationsprozesse oft an der Lebensrealität der Menschen vorbeigehen. Das Kernproblem ist das Festhalten an starren, linearen Modellen wie dem „Stage-Gate-Prozess“. Hier werden Ideen schrittweise durch interne „Tore“ geschleust, aber die Abteilungen arbeiten oft in Silos und verlieren den Kontakt zum Konsumenten. Das Ergebnis sind Produkte, die zwar intern alle Kriterien erfüllen, aber am Ende keinen überzeugenden Grund liefern, warum ein Verbraucher seine Gewohnheiten ändern sollte. Es fehlt die Relevanz, die den entscheidenden Unterschied macht und aus einer Neuheit ein echtes Bedürfnis macht.

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Mit Collective Innovation stellen Sie eine End-to-End-Lösung vor, die auf kollektive Intelligenz setzt. Wie genau gelingt es, die Expertise von Menschen und KI sinnvoll zu verbinden?

Steffen Goik: Der Schlüssel liegt darin, KI nicht als Ersatz, sondern als hochspezialisierten Partner für menschliche Intelligenz zu sehen. Das Besondere an unserem Ansatz ist, dass wir keine allgemeinen KI-Modelle nutzen. Mit Lösungen wie unserem InnoExplorer wird die KI zu einem maßgeschneiderten Werkzeug. Wir trainieren sie gezielt für die jeweilige Aufgabe – sei es mit aktuellen Konsumentendaten, den Erkenntnissen aus einem Produkttest oder der spezifischen Markenstrategie des Kunden. So generiert die KI nicht irgendwelche, sondern hochrelevante Ideen, die exakt auf die Unternehmen zugeschnitten sind und auf relevanten Bedürfnissen der Konsumenten fußen.

Der Mensch bleibt dabei das strategische Zentrum. Unsere Experten definieren, womit die KI trainiert wird, formulieren die entscheidenden Fragen und interpretieren die Ergebnisse im Kontext der Unternehmensstrategie. Es ist eine Symbiose: Die spezialisierte KI liefert in rasantem Tempo passgenaue Bausteine, und der Mensch fügt sie mit Erfahrung und Weitblick zu einer tragfähigen Innovationsstrategie zusammen.

Innovation ist oft ein Spagat zwischen Kreativität und Umsetzbarkeit. Wie hilft Ihr Ansatz, beide Seiten in Einklang zu bringen – also Ideen zu entwickeln, die nicht nur begeistern, sondern auch realisierbar sind?

Steffen Goik: Genau diesen Spagat adressieren wir, indem wir die entscheidenden Perspektiven von Anfang an integrieren: die Begeisterung aus Konsumentensicht sowie die strategische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit für das Unternehmen.

  • Begeisterung (Desirability) stellen wir sicher, indem wir tief in die Lebenswelt der Konsumenten eintauchen. Wir kombinieren hierfür verschiedene Quellen, um unbefriedigte Bedürfnisse aufzudecken: Wir nutzen KI, um in riesigen Mengen an Social-Media-Daten verborgene Signale zu finden, führen gezielte direkte Befragungen – sowohl qualitativ als auch quantitativ – durch oder tauchen zum Beispiel mittels Ethnografie tief in den Alltag der Menschen ein. So stellen wir sicher, dass unsere Ideen auf authentischen Wünschen basieren und nicht im luftleeren Raum entstehen.
  • Die Realisierbarkeit (Feasibility) von neuen Ideen sichern wir nicht erst am Ende, sondern wir bauen sie von Anfang an in den Prozess ein. Noch bevor die KI mit der Ideengenerierung beginnt, definieren wir in enger Abstimmung mit dem Kunden klare Leitplanken. Das können strategische Ziele, technische Restriktionen oder auch Markenwerte sein, die nicht verletzt werden dürfen. Diese Leitplanken fließen direkt in das Training der KI und die von uns entwickelten Prompts ein. Dadurch generiert die KI nicht einfach nur „kreative“, sondern strategisch passende Ideen innerhalb eines vordefinierten Korridors. So werden „Luftschlösser“ von vornherein vermieden und die Effizienz des gesamten Prozesses massiv gesteigert.

Sie betonen die Zusammenarbeit von Trendforschung, Big Data und qualitativer Praxis. Wie verändert diese Kombination die Art, wie Unternehmen künftig über Innovation nachdenken?

Steffen Goik: Diese Kombination führt zu einem fundamentalen Wandel: von einem reaktiven zu einem proaktiven Innovationsmanagement. Unternehmen agieren nicht mehr nur als Antwort auf den Markt, sondern können die Zukunft aktiv mitgestalten.

  • Die Trendforschung gibt uns den Weitblick auf große gesellschaftliche Werteverschiebungen.
  • Big Data, genauer Social Data liefert uns das Echtzeit-Barometer für aktuelle Bedürfnisse und aufkommende „Signale“.
  • Die qualitative Forschung, wie zum Beispiel die Ethnografie, geht in die Tiefe und deckt das „Warum“ hinter den Daten auf.

Indem wir diese drei Stränge verweben, entsteht ein dynamisches und vollständiges Bild. Unternehmen können antizipieren, was morgen relevant wird, und Innovationen entwickeln, die nicht nur einen kurzfristigen Bedarf decken, sondern langfristig erfolgreich sind.

Zum Abschluss: Wenn Sie einen Blick nach vorn wagen – welche Fähigkeit wird für Innovationsmanager in den nächsten drei Jahren entscheidend sein, um erfolgreich zu bleiben?

Steffen Goik: Die entscheidende Fähigkeit wird die des „strategischen Dirigenten“ sein. Die Rolle des Innovationsmanagers entwickelt sich weg vom reinen Projektmanager hin zu einem Kurator und Integrator. Es geht weniger darum, jede Detailaufgabe selbst zu beherrschen, als vielmehr darum, das Zusammenspiel der verschiedenen Instrumente – menschliche Expertise, KI-Tools, diverse Datenquellen – meisterhaft zu orchestrieren.

Konkret bedeutet das: Sie müssen die richtigen Fragen stellen können, sowohl an die KI als auch an ihre Teams. Sie müssen die Fülle an Informationen zu einem klaren, strategischen Bild verdichten und dieses überzeugend im Unternehmen vertreten.

Der erfolgreiche Innovationsmanager der Zukunft ist derjenige, der die kollektive Intelligenz von Mensch und Maschine am besten zu nutzen weiß.

Zum Webinar

Dieses Interview erschien am 21. Oktober 2025 auf marktforschung.de. Das Gespräch führte Keno Henk.

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