Nur jede:r Vierte hält Sieg der Ukraine noch für realistisch, Waffenlieferungen bei Deutschen umstritten

Hamburg, 22. Februar 2024 – Am 24. Februar jährt sich zum zweiten Mal die Invasion russischer Truppen in die Ukraine. Eine aktuelle Ipsos-Umfrage zeigt nun, dass nur jede:r vierte Deutsche (25 %) glaubt, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland noch gewinnen kann. 40 Prozent der Befragten halten einen Sieg der Ukraine nicht für realistisch, mehr als jede:r Dritte (35 %) ist sich unsicher.

Ukrainischer Soldat an der Front

Ostdeutsche pessimistischer als Westdeutsche

Klare Unterschiede im Antwortverhalten zeigen sich dabei zwischen Ost- und Westdeutschland. Während im Osten nur jede:r Fünfte (20 %) an die Möglichkeit eines ukrainischen Sieges glaubt, tun dies im Westen immerhin 26 Prozent der Befragten. Eine Niederlage der Ukraine hält dagegen fast die Hälfte (46 %) der Ostdeutschen für realistisch, im Westen teilen nur 39 Prozent diese Ansicht.

Grüne glauben am ehesten an ukrainischen Sieg, AfDler sind am skeptischsten

Noch größer fallen die Unterschiede beim Blick auf die politischen Präferenzen der Befragten aus. Fast die Hälfte der Grünen-Anhänger:innen (47 %) ist der Überzeugung, dass die Ukraine noch Chancen auf einen Sieg im russischen Angriffskrieg hat – lediglich 21 Prozent zweifeln daran. Auch die Wählerschaft der FDP äußert sich mit 45 Prozent Zustimmung überdurchschnittlich optimistisch. Allerdings glauben anders als bei den Grünen fast ebenso viele FDP-Sympathisant:innen (41 %), dass die Ukraine nicht mehr gewinnen kann. Die Anhänger:innen von SPD, Union und Linken bewegen sich bei dieser Frage im Mittelfeld. Unter ihnen meint jeweils etwa ein Drittel (SPD 37 %, Union 32%, Linke 32 %), dass die Ukraine die russischen Truppen noch besiegen kann.

Deutlich hervor stechen die Alternative für Deutschland und das Bündnis Sahra Wagenknecht. Unter ihren Anhängerschaften hält jeweils nur jede:r Zehnte (11 %) einen ukrainischen Sieg für realistisch. Eine klare Mehrheit der AfD-Wähler:innen (69 %) und BSW-Anhänger:innen (62 %) sind davon überzeugt, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland nicht mehr gewinnen kann.

Grafik: Deutsche zweifeln am Sieg der Ukraine


Zwei von fünf Deutschen befürworten weitere Waffenlieferungen

Auch bei der Frage, ob Deutschland weiterhin Waffen an die Ukraine liefern sollte, zeigen sich Unterschiede in der Parteienlandschaft sowie zwischen Ost und West. 39 Prozent der Bundesbürger:innen halten weitere Waffenlieferungen an die Ukraine grundsätzlich für richtig. Ein etwas größerer Teil der Bevölkerung (43 %) ist jedoch der Meinung, dass Deutschland keine weiteren Waffen mehr liefern sollte, weitere 18 Prozent sind unentschlossen.

In Westdeutschland ist der Anteil der Befürworter:innen mit 42 Prozent deutlich höher als in den ostdeutschen Bundesländern, wo sich nicht einmal jede:r Dritte (30 %) für weitere Waffenlieferungen ausspricht. Gegen weitere Waffenlieferungen sind im Westen 40 Prozent und im Osten 54 Prozent der Befragten.

Auch beim Thema Waffenlieferungen ist die Unterstützungsbereitschaft bei der Grünen-Wählerschaft am stärksten ausgeprägt. Unter ihnen halten 72 Prozent weitere militärische Hilfen für richtig, lediglich 13 Prozent lehnen sie ab. Bei den Anhänger:innen von SPD, Union und FDP befürworten dies nur jeweils knapp die Hälfte der Befragten (SPD 55 %, Union 53 %, FDP 52 %). Die Wählerschaft der Linken ist sich bei dieser Frage uneinig, hier werden Waffenlieferungen zu gleichen Teilen (je 38 %) begrüßt bzw. abgelehnt. Abermals heben sich die Anhänger:innen des BSW und der AfD deutlich von den anderen Befragten ab, die Waffenlieferungen nur zu 20 Prozent (BSW) bzw. 13 (AfD) Prozent zustimmen. Acht von zehn AfD-Wähler:innen (81 %) und drei Viertel der BSW-Anhängerschaft (73 %) lehnen weitere militärische Hilfen für die Ukraine ab.

Grafik: Waffenlieferungen an die Ukraine umstritten


Expertenkommentar: Kriegsmüdigkeit lässt sich nicht mehr leugnen

Dr. Robert Grimm, Leiter der Politik- und Sozialforschung bei Ipsos, sieht dringenden Handlungsbedarf: »Zwei Jahre Ukraine-Krieg haben Deutschland zutiefst bewegt. Bis zum 24. Januar 2022 basierte unsere Identität auf einem pazifistisch-europäischen Grundverständnis, Außenbeziehungen waren eher von Wirtschafts- als von Verteidigungspolitik geprägt. Die von Kanzler Scholz ausgerufene Zeitenwende bedeutet nun: Kriegstüchtigkeit schaffen, den Verteidigungsetat aufstocken, die Truppenstärke anheben. Erstmals seit 1945 rollen deutsche Panzer in Osteuropa an die Front, es wird ernsthaft über atomare Aufrüstung und die Wiedereinführung der Wehrpflicht debattiert. Dass der Albtraum so schnell nicht vorüberzieht, zeigen die jüngsten Fortschritte der Russen an der Front und der unerwartete Tod des russischen Regimekritikers Nawalny. Die Ukraine benötigt dringend Unterstützung, doch die internationale Gemeinschaft bröckelt. Vielerorts stolpert die Ukrainehilfe über innenpolitische Gemengelagen, wie z. B. in den USA, wo die Zusage für ein umfangreiches Hilfspaket weiterhin am amerikanischen Wahlkampf scheitert. Und auch in Deutschland zeigen Ipsos-Daten, dass der Rückhalt für den pro-ukrainischen Kurs der Regierung allmählich schwindet. Noch sprechen sich die Spitzen der Ampel und der Union für Rüstungslieferungen aus, auch wenn Scholz die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an Kiew bislang ausbremst. Die Politik muss den Bürgerinnen und Bürgern besser erklären, warum die weitere Unterstützung der Ukraine wichtig für unsere Demokratie ist. Die Kriegsmüdigkeit unter den Deutschen lässt sich nicht mehr leugnen, und sollte sie weiter steigen, kann sich der Umgang mit dem Krieg zu einem wichtigen Wahlkampfthema entwickeln und den politischen Rändern weiter in die Hände spielen.«

Methode

Quotierte Online-Befragung von 2.000 Wahlberechtigten zwischen 18 und 75 Jahren in Deutschland, repräsentativ gewichtet nach Alter, Geschlecht, Bildung, Region und Wahlverhalten bei der letzten Bundestagswahl. Die Befragung wurde vom 02. bis 04. Februar 2024 durchgeführt.

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