Globalisierung, technischer Fortschritt, Politikverdrossenheit – Ipsos Global Trends 2024 beleuchtet deutsche Sicht auf eine Welt im Umbruch
Um die tiefgreifenden Veränderungen zu verstehen, die sich in Gesellschaft und Wirtschaft in Zeiten des Umbruchs vollziehen, hat das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Ipsos die größte öffentliche Umfrage in seiner Geschichte durchgeführt. Über 50.000 Interviews wurden in 50 Ländern durchgeführt, die 74 Prozent der Weltbevölkerung und 90 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts repräsentieren. Auch für Deutschland liefert die Studie ›Ipsos Global Trends 2024‹ wieder aufschlussreiche Daten und neue Erkenntnisse: vom Werteverständnis der Deutschen über ihre Einstellung zu neuen Technologien wie KI bis hin zu ihren Ängsten, Wünschen und Sehnsüchten.

Land und Welt: Wenig Nationalstolz, Alter beeinflusst Haltung zu Demokratie und Globalisierung
Drei von vier Deutschen (75 %) halten die Demokratie für die ideale Staatsform. Besonders hoch ist die Zustimmung bei älteren Befragten ab 55 Jahren (83 %) sowie bei Besserverdienenden (80 %). Von den Befragten mit niedrigem Bildungsniveau sehen lediglich 61 Prozent die Demokratie so positiv. Stolz auf ihr Land sind dagegen nur 41 Prozent der Deutschen, fast jede:r Zweite (46 %) ist es explizit nicht – damit liegt Deutschland im Vergleich der 50 befragten Länder auf dem letzten Platz. Besonders auffällig sind hier die Unterschiede zwischen Männern (50 % stolz) und Frauen (32 %).
Dass die Globalisierung gut für Deutschland ist, glaubt etwa die Hälfte der Bevölkerung (52 %), wobei sich deutliche Unterschiede zwischen den Generationen zeigen. Während bei den 16- bis 24-Jährigen 70 Prozent dieser Meinung sind, nimmt die Zustimmung bei den älteren Befragten (41 %) kontinuierlich ab. Bei den über 55-Jährigen überwiegt sogar die Skepsis (44 %) gegenüber der Globalisierung.
Reiche sollen mehr Steuern zahlen – und Unternehmen ihren Beitrag leisten
Dass die Wohlstandsschere dem Land nicht guttut, befinden vier von fünf Deutschen (81 %). Folgerichtig ist auch eine Mehrheit der Meinung, dass Reiche mehr Steuern zahlen sollten: Fast drei Viertel der Deutschen sehen das so (74 %). Bei der Frage, ob das Land zugunsten der Reichen und Mächtigen manipuliert wird, stimmen 64 Prozent der Bundesbürger:innen zu. Ein noch größerer Anteil der Befragten (78 %) vertritt die Ansicht, dass auch Unternehmen ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten und nicht nur Gewinne erwirtschaften sollten.
Klimawandel: Als Gefahr erkannt, Lösung von Politik und Wirtschaft gefordert
Drei Viertel der Bundesbürger:innen (75 %) sind davon überzeugt, dass wir auf eine Klimakatastrophe zusteuern, wenn wir unsere Lebensgewohnheiten nicht schnell ändern – darin sind sich alle Geschlechter, Generationen, Einkommens- und Bildungsschichten weitgehend einig. Nur 37 Prozent der Befragten sind jedoch der Meinung, dass E-Autos einen relevanten Beitrag zur Erreichung dieses Ziels leisten.
Eine Mehrheit der Befragten (61 %) glaubt, bereits alles Mögliche zu tun, um die Umwelt zu schützen. Stattdessen sehen sie Wirtschaft und Politik in der Pflicht. Drei Viertel der Deutschen (74 %) sind der Meinung, dass Unternehmen der Umwelt zu wenig Aufmerksamkeit schenken – und dass die Auswirkungen von Unternehmen auf die Umwelt stärker von der Regierung kontrolliert werden sollten (75 %).
Neue Technologien und Datenschutz: Deutsche zwischen Hoffnung und Skepsis
Zwei von drei Deutschen (63 %) äußern Bedenken hinsichtlich der Datenverarbeitung durch Unternehmen im Internet, etwas weniger besorgt ist man darüber, wie der Staat online gesammelte persönliche Informationen verwendet (57 %). Immerhin 39 Prozent der Bundesbürger:innen sind jedoch der Meinung, dass man sich generell zu viele Gedanken über eine solche Datennutzung durch Dritte macht – und machen sich selbst keine Sorgen darüber, was Unternehmen oder der Staat über sie wissen. Dass mit den neuen Technologien zwangsläufig ein Stück Privatsphäre verloren geht, sagen wiederum drei von vier Deutschen (74 %).
Immerhin 45 Prozent der Bundesbürger:innen befürchten, dass der technologische Fortschritt unser Leben zerstören könnte – andererseits sind 64 Prozent überzeugt, dass wir genau diesen Fortschritt brauchen, um die Probleme der Zukunft zu lösen. Dass Künstliche Intelligenz unsere Welt positiv beeinflussen kann, glauben in Deutschland 43 Prozent.
Zwischen Nostalgie und Moderne: Traditionen hochgeschätzt, Geschlechterrollen im Wandel
Zwar wünschen sich 52 Prozent der Deutschen ihr Land so, wie es einmal war. Aber nur ein Drittel (33 %) wäre lieber in der Zeit aufgewachsen, als die eigenen Eltern noch Kinder waren. Religion spielt nur für 35 Prozent der Deutschen eine wichtige Rolle – im Gegensatz zum Rest der Welt, wo durchschnittlich sechs von zehn Befragten (60 %) zustimmen. Dagegen werden Traditionen von drei Vierteln der Deutschen (75 %) als relevanter Teil der Gesellschaft geschätzt – hier besteht weitgehende Einigkeit über alle demografischen Gruppen hinweg.
Dass es die Hauptaufgabe der Frau sei, eine gute Mutter und Ehefrau zu sein – dem widersprechen heute 74 Prozent der Bundesbürger:innen, am stärksten die Jüngeren zwischen 16 und 24 Jahren (86 %), am wenigsten Befragte mit niedrigem Bildungsniveau (53 %). Der Meinung, dass die meisten Menschen Kinder haben sollten, sind in Deutschland 46 Prozent der Befragten – 59 Prozent der Männer, aber nur jede dritte Frau (33 %). Liberaler Konsens herrscht dagegen bei der Frage nach der Gleichberechtigung von trans* Personen: 79 Prozent der Deutschen finden, dass sie ihr Leben so leben sollen, wie sie es wollen, nur 13 Prozent lehnen dies ab.
Viele Deutsche fühlen sich von der Politik im Stich gelassen
Vier von fünf Deutschen (80 %) sind der Ansicht, dass es im Land immer mehr Konflikte zwischen Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen gibt. Dass die Regierung, aber auch traditionelle Parteien und Politiker:innen die Sorgen der Menschen nicht im Blick haben, finden zwei von drei Bundesbürger:innen (64 %). 73 Prozent befürchten, dass Politik und Sozialwesen in den nächsten Jahren nur wenig für sie tun werden.
Da die Zukunft unsicher erscheint, ziehen es sechs von zehn Befragten (60 %) vor, im Hier und Jetzt zu leben. Das Heute genießen und hoffen, dass sich das Morgen von selbst regelt – dieser Einstellung folgen sogar 62 Prozent der Deutschen.
Schneller Wandel schürt Ängste im Alltag – Individuelles Wohlbefinden im Fokus
Eine deutliche Mehrheit von 78 Prozent findet, dass sich die Welt zu schnell verändert, dementsprechend wünschen sich 62 Prozent, ihr Leben entschleunigen zu können. Jede:r Zweite (49 %) fühlt sich von zu vielen Wahlmöglichkeiten im Leben überfordert, vor allem Frauen (57 %) und Jüngere zwischen 16 und 24 Jahren (69 %). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung (54 %) hat konkrete Angst, dass ihr Geld nicht reicht.
Trotzdem zieht eine große Mehrheit der Deutschen (85 %) eine ausgewogene Work-Life-Balance einer erfolgreichen Karriere vor. Und nur 31 Prozent glauben, dass sich ein erfülltes Leben in einer hohen Position ausdrückt. Das Streben nach individuellem Glück und Gesundheit ist für eine Mehrheit von 56 Prozent der Deutschen wichtiger als das wirtschaftliche Wachstum des Landes. Materielles scheint für den Einzelnen weniger wichtig zu sein: 63 Prozent der Deutschen messen ihren Erfolg nicht an Besitztümern.
Der Blick in die Zukunft: Persönlicher Optimismus, aber wenig positive Erwartungen für Deutschland und die Welt
Alles in allem bezeichnen sich 70 Prozent der Deutschen als glücklich. Am höchsten ist das Glücksempfinden bei den 25- bis 34-Jährigen (82 %) und den Gutverdienern (80%), am niedrigsten bei den über 55-Jährigen (64 %) und den Geringverdienern (47 %). Mehr als jede:r zweite Bundesbürger:in blickt für sich und seine/ihre Familie zuversichtlich in die nächsten 12 Monate (53 %). Ganz anders sieht es im nationalen und globalen Kontext aus: Nur 23 Prozent der Bundesbürger:innen schauen optimistisch auf die nähere Zukunft des Landes – und noch weniger (16 %) auf die Lage der Welt.
Neugierig geworden? Entdecken Sie Ipsos Global Trends

Methode
Die Ergebnisse stammen aus der Studie »Ipsos Global Trends 2024«. Zwischen dem 15. Februar 2024 und dem 23. April 2024 wurden dafür insgesamt 50.237 Personen in 50 Märkten (überwiegend) über die Online-Plattform Global Advisor befragt. Nur in zwei Ländern wurden andere Methoden eingesetzt: In Indien wurde eine Mixed-Methods-Stichprobe verwendet, in Sambia wurde die Befragung face-to-face durchgeführt.
Ipsos befragte Erwachsene im Alter von 18 bis 74 Jahren in Hongkong, Israel, Kanada, Malaysia, Neuseeland, Südafrika, der Türkei, den USA und Vietnam, im Alter von 20 bis 74 Jahren in Thailand, im Alter von 21 bis 74 Jahren in Indonesien und Singapur sowie Personen im Alter von 16 bis 74 Jahren in allen anderen untersuchten Ländern, einschließlich Deutschland.
Die Stichprobe umfasste rund 1.000 Personen in allen 50 Märkten. Die Daten wurden so gewichtet, dass die Zusammensetzung der Stichprobe in jedem Markt das demografische Profil der erwachsenen Bevölkerung gemäß den jüngsten Volkszählungsdaten am besten widerspiegelt. In Deutschland ist die Internetdurchdringung hoch genug, um die Stichprobe als repräsentativ für die Gesamtbevölkerung in den abgedeckten Altersgruppen zu betrachten.