Blog & Meinung
Hier finden Sie aktuelle Einordnungen und Analysen zu gesellschaftsrelevanten Themen von unseren Expert:innen aus der quantitativen und qualitativen Politik- und Sozialforschung.

Herzlich willkommen bei „Blog & Meinung“. Auf dieser Unterseite bieten wir Ihnen aktuelle Einordnungen und fundierte Analysen zu gesellschaftsrelevanten Themen, verfasst von unseren Ipsos-Expert:innen. Unsere Beiträge richten sich an politisch Interessierte und Entscheidungsträger in allen Bereichen der öffentlichen Politik, die auf verlässliche Informationen und professionelle Einschätzungen angewiesen sind.
Aktuelle Einordnungen und Analysen
Koalitionspoker: Grüne als Königsmacher? (11.12.2024)
(Dr. Robert Grimm, Leiter Politik- und Sozialforschung)
Aktuelle Umfragen sehen die Union mit Friedrich Merz als Kanzlerkandidat klar in Führung. Allerdings konnte die Union bisher nicht vom Ampel-Aus profitieren und wird alleine nicht regieren können. Die Frage nach möglichen Koalitionspartnern ist daher offen. Insbesondere die Haltung einiger Unionspolitiker gegenüber den Grünen wurde in letzter Zeit immer wieder heftig diskutiert und offenbart die Uneinigkeit innerhalb der Unionsparteien.
So zeigte sich Friedrich Merz offen für eine Zusammenarbeit mit den Grünen. Merz verwies unter anderem auf die Außen- und Sicherheitspolitik, in der die Christdemokraten den Grünen näher stünden als der SPD. Er könne sich sogar Robert Habeck weiter als Wirtschaftsminister vorstellen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder widersprach Merz daraufhin vehement und direkt aus seinem Dienstwagen: Der amtierende Wirtschaftsminister sei inkompetent, die Grünen gehörten in die Opposition und nicht in die Regierung, so Söder. Überhaupt sieht Söder die Schuld für die derzeitige wirtschaftliche Misere bei den Grünen.
Merz' Linksschwenk kann als taktisches Manöver interpretiert werden, um die Wählerbasis im linksliberalen Milieu zu verbreitern. Söder hingegen positioniert sich als klarer Gegenpol zu den Grünen und versucht, die konservative Wählerschaft zu mobilisieren.
Die Wählerinnen und Wähler scheinen eher Söder als Merz zu folgen. Laut einer aktuellen Ipsos-Umfrage favorisieren 22 Prozent der Befragten eine große Koalition aus CDU/CSU und SPD. Eine schwarz-grüne Koalition findet dagegen nur bei 7 Prozent Zustimmung. Mehr als ein Drittel der Befragten (35%) hat keine Präferenz für eine bestimmte Koalition. 18 Prozent sprechen sich für eine Koalition aus Union und AfD aus - diese Option bleibt Merz allerdings verschlossen.
Scholz oder Pistorius - Wer führt die SPD in die Zukunft? (20.11.2024)
(Dr. Robert Grimm, Leiter Politik- und Sozialforschung)Bundeskanzler Olaf Scholz genießt derzeit keine hohen Zufriedenheitswerte in der Bevölkerung. Nur 10 bis 12 Prozent der Deutschen äußerten sich in den letzten 12 Monaten sehr zufrieden mit seiner Arbeit. Er gilt als das Gesicht der gescheiterten Ampelregierung und sieht sich häufig mit dem Vorwurf der Unentschlossenheit, Visionslosigkeit und mangelnden Durchsetzungsvermögens konfrontiert. Diese Eigenschaften erschweren es ihm, die unterschiedlichen Lager der Koalition zusammenzuhalten, die im Laufe der Jahre immer weiter auseinander gedriftet sind.
Scholz ist es bisher nicht gelungen, die Menschen emotional hinter sich zu vereinen, eine Brücke zu den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes zu schlagen.
Authentisch und überzeugend wirkte er nur in wenigen Momenten, etwa bei seiner "Zeitenwende"-Rede oder bei seinem sichtlichen Wutausbruch nach der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner und dem damit verbundenen Ende der Ampelkoalition. Der sachlich-abwägende Stratege, der klare Antworten vermeidet (oft als "Scholzomat" bezeichnet), stößt in der Bevölkerung auf wenig Sympathie.
Boris Pistorius hatte es dagegen leichter. Er wurde Verteidigungsminister in einer Zeit, in der Reformen und Investitionen in die Bundeswehr unumgänglich sind. In der Politik herrscht ein breiter Konsens darüber, dass Deutschland dringend „remilitarisiert“ („kriegstüchtig“ im Jargon des Verteidigungsministers) werden muss.
Mit einem solchen Momentum lässt sich leichter Politik machen als unter dem Vorzeichen der Sparsamkeit.
Im Gegensatz zu Scholz ist Pistorius weniger zurückhaltend und positioniert sich klar, etwa in Bezug auf den Einsatz deutscher Langstreckenwaffen durch die ukrainischen Streitkräfte auf russischem Territorium. Scholz wiederum zeigt sich derzeit als zurückhaltender Friedenskanzler (wahlstrategisch mit Blick auf die zunehmende Kriegsmüdigkeit der Deutschen).
Darüber hinaus wird Boris Pistorius in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mit den toxischen Auseinandersetzungen der Ampelpartner in Verbindung gebracht. Wohl auch deshalb genießt der Verteidigungsminister seit Beginn seiner Amtszeit 2023 konstant hohe Zufriedenheitswerte in der Bevölkerung, er ist Deutschlands beliebtester Politiker.
Ein Manko von Pistorius ist, dass er als ehemaliger Innenminister und jetziger Verteidigungsminister eher Law-and-Order-Themen bearbeitet und wenig Erfahrung in sozialpolitischen Kernthemen der Sozialdemokratie hat. Auch in Wirtschaftsfragen ist Pistorius ein unbeschriebenes Blatt.
Wachstum ist jedoch ein zentrales politisches Thema und die Angst vor Armut und sozialer Ungleichheit bleibt eine der größten Sorgen der Deutschen.
Eine zweite Amtszeit von Olaf Scholz erscheint unter den gegenwärtigen Vorzeichen unrealistisch. Die Union liegt in den Umfragen fast 20 Prozentpunkte vor der SPD, die großen Personalfragen sind entschieden, Merz ist als Kanzlerkandidat gesetzt. In einer Ipsos-Umfrage hielten 17 Prozent der Befragten Pistorius für den geeignetsten Kanzlerkandidaten, gefolgt von Friedrich Merz mit 15 Prozent. Olaf Scholz halten dagegen nur 6 Prozent für geeignet. Ein Kandidatenwechsel kurz vor der Wahl ist immer ein Experiment, dessen Erfolg nicht garantiert ist, wie zuletzt die Wahl in den USA gezeigt hat. Dennoch hat die SPD mit Boris Pistorius die besseren Karten für ein gutes Bundestagswahlergebnis am 23. Februar, das sollte auch den Scholz-Getreuen klar sein.
Vorsicht, Wahrnehmungsfalle? (13.11.2025)
In diesem Blogeintrag beleuchtet Ipsos-Experte Dr. Robert Grimm die Herausforderungen, komplexe Themen in verständliche Botschaften zu übersetzen, um populistischen Diskursen entgegenzuwirken. Die Ipsos-Studie "Perils of Perception" zeigt, dass Menschen oft die Realität verzerrt wahrnehmen, z. B. überschätzen Deutsche sowohl den Migrantenanteil als auch die Vermögensverteilung. Auch in anderen westlichen Ländern sind Fehleinschätzungen wie diese verbreitet.
Viel zu oft sprechen wir im Zusammenhang mit Vertrauensverlust und populistischen Diskursen über die Vereinfachung von komplexen Lebenswelten und geopolitischen Zusammenhängen, über unterschiedliche Regierungsstrukturen (Governance) und über die exponentielle Zunahme von Stakeholder-Perspektiven. Eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt, ist: Wie können Politikerinnen und Politiker komplexe Themen in einfache und verständliche Botschaften übersetzen, die auch diejenigen erreichen, die unser tägliches Leben ermöglichen, aber nicht die Zeit (oder das Interesse) haben, sich in die Materie zu vertiefen?
Leider unterliegen wir oft unserer eigenen Wahrnehmung.
Ein falsches Gefühl von Dringlichkeit und Negativismus macht uns anfällig für populistische Argumente und trübt häufig unser Urteilsvermögen. Die Ipsos-Studie "Perils of Perception" gibt Aufschluss darüber, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und inwieweit diese Wahrnehmung mit den Fakten übereinstimmt oder im Widerspruch steht.
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass der Anteil der Migranten in Deutschland deutlich überschätzt wird.
Während der tatsächliche Anteil bei etwa 15 Prozent liegt, glauben die Deutschen, dass es fast doppelt so viele sind. Auch bei der Vermögensverteilung klaffen Wahrnehmung und Realität weit auseinander: Im Durchschnitt schätzen die Deutschen, dass die reichsten 1 Prozent der Haushalte 42 Prozent des Gesamtvermögens besitzen, tatsächlich sind es aber nur 26 Prozent. Solche Fehleinschätzungen sind kein rein deutsches Phänomen, sondern treten auch in vielen anderen westlichen Ländern auf.
Hans Rosling hat diese Wahrnehmungsfalle in seinem Buch "Factfulness" untersucht. Seiner Analyse zufolge haben die meisten Menschen ein systematisch verzerrtes, übermäßig negatives Weltbild. Rosling führt dies auf tief verwurzelte Instinkte zurück, die unsere Wahrnehmung der Realität verzerren, wie z. B. die Tendenz, die Welt in gegensätzliche Lager einzuteilen (z. B. arm und reich) und die Überbetonung dramatischer Erzählungen, die uns positive Entwicklungen übersehen lassen. Das macht uns besonders anfällig für politische Übertreibungen und Polarisierungen.
Ich wünsche mir für den bevorstehenden Wahlkampf, dass es uns gelingt, diese Instinkte zu überwinden, sachlich über die Herausforderungen unseres Landes zu diskutieren und sachlich Lösungen zu erarbeiten.
Spannung vor den US-Wahlen – Wer gewinnt die Swing States? (25.10.2024)
Kurz vor den US-Präsidentschaftswahlen zeigt eine Ipsos/Reuters-Umfrage, dass Kamala Harris leicht vor Donald Trump liegt. Während Trump als starker Kandidat bei Wirtschafts- und Einwanderungsthemen gilt, überzeugt Harris in der Abtreibungs- und Gesundheitspolitik. Entscheidend sind die Swing States, die den Wahlausgang beeinflussen könnten, weiß Ipsos-Experte Dr. Robert Grimm.
Knapp zwei Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in den USA hat die demokratische US-Vizepräsidentin Kamala Harris laut einer Ipsos/Reuters-Umfrage mit 46 zu 43 Prozent einen leichten Vorsprung vor dem republikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump. Die Ipsos-Umfrage zeigt auch, dass die amerikanische Bevölkerung nach wie vor negativ über den Zustand der Wirtschaft und die Einwanderung in den USA denken. Rund 70 Prozent der registrierten Wählerinnen und Wähler sind besorgt über die steigenden Lebenshaltungskosten. Sechs von zehn (60 %) US-Amerikanern glauben, dass sich die Wirtschaft in die falsche Richtung entwickelt und 65 Prozent sind besorgt über die Einwanderungspolitik des Landes.
In Wirtschafts- und Einwanderungsfragen wird Trump als der kompetentere Kandidat wahrgenommen. Kamala Harris hingegen überzeugt bei der Frage, wer besser in der Lage sei, politischen Extremismus und Bedrohungen der Demokratie zu bekämpfen. Auch in der Abtreibungs- und Gesundheitspolitik liegt sie vorn.
Die Ipsos/Reuters-Umfrage wurde landesweit durchgeführt. Entscheidend für den Ausgang der Präsidentschaftswahl ist jedoch nicht die landesweite Verteilung der Stimmen, sondern die Ergebnisse der Wahlmännergremien in den einzelnen Bundesstaaten. Wahrscheinlich werden die Stimmen aus nur sieben hart umkämpften Swing States die Wahl am 5. November entscheiden. Demnach könnte Trump trotz eines landesweiten Vorsprungs von Vizepräsidentin Harris die Wahl für sich entscheiden. Dies war auch 2016 bei der Kandidatur von Donald Trump gegen Hillary Clinton der Fall: Clinton lag bei den nationalen Stimmen um zwei Prozentpunkte vor Trump, verlor aber nach Anzahl der Wahlleute.
Während die Amerikaner noch unentschlossen sind, wäre die Präsidentschaftswahl hierzulande längst entschieden, wenn die Deutschen die Wahl hätten.
Gut zwei Drittel der Deutschen (67 %) wünschen sich Harris als künftige US-Präsidentin, nur 12 Prozent bevorzugen Trump. Besonders stark ist die Unterstützung für Kamala Harris bei den Anhängern der Grünen (86 %), der Union (84 %) und der SPD (83 %). Die einzige Ausnahme bilden - wenig überraschend - die Anhänger der AfD, die sich mehrheitlich für eine zweite Amtszeit Trumps aussprechen.
Hohe Beiträge, geringe Leistung: Deutschlands Gesundheitswesen droht der Kollaps (18.10.2024)
(Dr. Robert Grimm, Leiter Politik- und Sozialforschung)
Das deutsche Gesundheitssystem steht vor großen Herausforderungen. Die Pflegekosten sind in den letzten Jahren explodiert und die Pflegekassen benötigen dringend finanzielle Unterstützung. Zwar wurden die Beitragssätze in den letzten zehn Jahren bereits viermal erhöht, doch reicht dies nicht aus, um die finanzielle Stabilität der Pflegeversicherung zu gewährleisten. Nach Angaben des Redaktionsnetzwerks Deutschland droht der Pflegeversicherung im kommenden Februar die Zahlungsunfähigkeit, wenn nicht gegengesteuert wird. Diskutiert wird derzeit eine weitere Beitragserhöhung um 0,25 bis 0,3 Prozentpunkte.
Ähnlich dramatisch ist die Situation bei den gesetzlichen Krankenkassen. Auch hier besteht ein erheblicher Zuschussbedarf, der entweder aus Steuermitteln oder durch Beitragserhöhungen finanziert werden muss. Mit Blick auf das Jahr 2025 können sich die Bürgerinnen und Bürger auf den größten Anstieg der Sozialbeiträge seit über 20 Jahren einstellen! Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) räumt im Handelsblatt ein, dass Deutschland schon heute das teuerste Gesundheitssystem in Westeuropa habe, aber bei der Lebenserwartung hinterherhinke.
Laut einer internationalen Ipsos-Umfrage bewerten nur 44 Prozent der Deutschen die Qualität der Gesundheitsversorgung als gut. Damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich im Mittelfeld, aber beispielsweise deutlich hinter den Niederlanden (76 %) oder der Schweiz (68 %). Besonders stören sich die Deutschen an langen Wartezeiten und dem Zugang zu Behandlungen: 44 Prozent sehen hier eine der größten Herausforderungen im Gesundheitssystem. Die Gründe dafür sehen die Bürgerinnen und Bürger im Personalmangel und in der Bürokratie. Bedauerlich ist, dass nur 41 Prozent der Deutschen glauben, dass das Gesundheitssystem allen die gleiche Qualität bietet. Auch hier schneidet Deutschland schlechter ab als andere Länder.
Hohe Beiträge allein werden das Problem nicht lösen. Ineffiziente Strukturen, Investitionen in die Digitalisierung des Gesundheitswesens, ein explodierender Bedarf aufgrund des demografischen Wandels bei gleichzeitig sinkender Zahl der Beitragszahler sowie steigende Personalkosten treiben den Finanzierungsbedarf. Leider fehlen außer der geplanten Krankenhausreform oder Beitragserhöhungen konkrete Maßnahmen, um das Gesundheitssystem auf eine solide finanzielle Basis zu stellen.
Javier Milei: Vom Anarchokapitalisten zum umstrittenen Hoffnungsträger Argentiniens (11.10.2024)
(Dr. Robert Grimm, Leiter Politik- und Sozialforschung)
"Seit seinem Wahlsieg im November 2023 verfolgt der selbsternannte 'Anarchokapitalist' und argentinische Präsident Javier Milei einen strikten Sparkurs, um die chronische Inflation und das jahrzehntelange Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen. Zu Hause steht der Rockstar des Ultraliberalismus deshalb in der Kritik. Das Vertrauen der Bevölkerung schwindet, vor allem wegen der Reformen, die die schwächeren Bevölkerungsgruppen überproportional treffen.
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit schloss Milei das Frauen- und das Umweltministerium sowie das argentinische Antidiskriminierungsinstitut. Kürzlich legte der Präsident sein Veto gegen ein Gesetz des Kongresses zur Erhöhung der Renten ein, was zu Protesten führte, die von den Sicherheitskräften unter massivem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen niedergeschlagen wurden. Die strikte Sparpolitik führt zu immer höheren sozialen Kosten: unter Mileis Regierung ist die Armutsrate in Argentinien um mehr als 10 Prozentpunkte auf fast 53 Prozent gestiegen.
Das Unbehagen über die sozialen Folgen der Reformen spiegelt sich auch in einer aktuellen Ipsos-Studie wider. Laut Ipsos-Daten sind die Hauptsorgen der Argentinier Arbeitslosigkeit (51 %), Inflation (48 %), Armut und soziale Ungleichheit (41 %) sowie Kriminalität und Gewalt(40 %). In den letzten 12 Monaten ist die Angst vor Arbeitslosigkeit um 20 Prozent gestiegen, ein Indikator dafür, dass sich die Menschen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht fühlen. Die Sorge um den Verlust der Kaufkraft ist hingegen im gleichen Zeitraum um 18 Prozent zurückgegangen, ebenso wie die Angst vor Kriminalität und Gewalt (-13 % im letzten Jahr). Zudem sieht die Mehrheit der von Ipsos befragten Argentinier das Land auf dem richtigen Weg. 59 Prozent sind dieser Meinung, in Deutschland sind es nur 38 Prozent. Das ist ein radikaler Stimmungswandel in der Bevölkerung, denn noch im September 2023 sahen 85 Prozent das Land auf dem falschen Weg.
Kurzum: Mileis Reformen sind schmerzhaft und werden nicht jedem gefallen, aber sie scheinen Argentinien auch einen Hoffnungsschimmer gegeben zu haben. Ob Milei mit seinem rechtsliberalen Kurs das Land langfristig wirtschaftlich stabilisieren kann, wird die Zukunft zeigen.
Auf der internationalen Bühne sorgte Milei vergangene Woche bei der 79. Sitzung der UN-Generalversammlung in New York für Schlagzeilen. Er beschuldigte die UN, eine sozialistische Agenda zu verfolgen und forderte die Länder der freien Welt auf, seine 'Agenda der Freiheit' anzunehmen, anstatt den UN-Zukunftspakt zu unterzeichnen, der Maßnahmen zum Klimaschutz, zur Gleichstellung der Geschlechter und zur Regulierung der künstlichen Intelligenz fördert. Bei einer Kundgebung zur landesweiten Gründung seiner politischen Partei kündigte Milei an, er wolle bei den Zwischenwahlen im nächsten Jahr für Furore sorgen. Ein Sieg bei den Wahlen 2025 würde seiner libertären Partei La Libertad Avanza ('Die Freiheit schreitet voran') mehr Macht im Kongress verschaffen, wo sie derzeit in beiden Kammern in der Minderheit ist, was die Verabschiedung wichtiger Gesetze behindert."
Deutschland im Stress: Mentale Gesundheit als wachsende Herausforderung (09.10.2024)
(Dr. Robert Grimm, Leiter Politik- und Sozialforschung)
"Insbesondere seit der Corona-Pandemie hat das Thema psychische Gesundheit an Bedeutung gewonnen. Verschiedene Studien seit 2021 zeigen alarmierende Entwicklungen: Menschen fühlen sich trotz des Zeitalters der umfassenden digitalen Vernetzung isolierter und einsamer. Dieses Paradoxon betrifft sowohl ältere als auch jüngere Menschen, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) feststellt. Die WHO betont, dass soziale Kontakte für unser geistiges und körperliches Wohlbefinden von entscheidender Bedeutung sind, wobei zwischen direkten, persönlichen Kontakten und digitalen Kontakten unterschieden werden muss.
Psychische Gesundheit, Stress, soziale Ängste und Burnout gewinnen auch in der Arbeitswelt zunehmend an Bedeutung.
Laut einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gehen jährlich 12 Milliarden Arbeitstage aufgrund von Depressionen und Angstzuständen verloren, was weltweit rund eine Billion US-Dollar kostet. Die Daten von Ipsos unterstreichen die Notwendigkeit, sich intensiver mit dem seelischen Wohlbefinden zu beschäftigen. In Deutschland sind die Menschen besonders sensibilisiert: 85 Prozent der Befragten messen der seelischen Gesundheit die gleiche Bedeutung bei wie der körperlichen. Das sind zehn Prozentpunkte mehr als im internationalen Durchschnitt. 50 Prozent der Deutschen halten die psychische Gesundheit für die größte gesundheitliche Herausforderung der Gegenwart. Auch dieser Wert liegt deutlich über dem internationalen Durchschnitt von 45 Prozent.
Das deutsche Gesundheitssystem wird im Hinblick auf das psychische Wohlbefinden positiv bewertet. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung ist der Meinung, dass psychische und körperliche Gesundheit im Gesundheitssystem gleichermaßen berücksichtigt werden. Dies ist deutlich mehr als im internationalen Vergleich. Trotz dieser Wahrnehmung bleibt die mentale Gesundheit für viele Menschen in Deutschland ein wichtiges Problemfeld: 34 Prozent der Deutschen waren in den letzten 12 Monaten mehrmals so gestresst, dass sie ihren alltäglichen Verpflichtungen kaum nachkommen konnten. 29 Prozent fühlten sich im gleichen Zeitraum mindestens zwei Wochen lang hoffnungslos und niedergeschlagen und 26 Prozent waren in diesem Zeitraum mindestens einmal aufgrund psychischer Belastungen arbeitsunfähig. Diese Zahlen verdeutlichen einmal mehr, dass psychische Gesundheit längst kein Randthema mehr ist, sondern eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung, die entschlossenes Handeln auf individueller, politischer und wirtschaftlicher Ebene erfordert."
Neues Schuljahr, alte Probleme: Wie steht es um das deutsche Bildungssystem? (25.09.2024)
(Dr. Robert Grimm, Leiter Politik- und Sozialforschung)
„Vor zwei Wochen hat in allen Bundesländern das neue Schuljahr begonnen. Wie jedes Jahr stellt sich die Frage nach der Qualität des Bildungsangebots. Kein Wunder, denn die Transformation durch Künstliche Intelligenz (KI) und die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland erfordern zukunftsorientierte Investitionen. Eine der wichtigsten Komponenten ist dabei das „Humankapital“, also die fachliche Qualifikation der arbeitenden Bevölkerung einer Volkswirtschaft. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes beurteilen das Bildungssystem jedoch kritisch. Nach dem jährlich veröffentlichten Ifo-Bildungsbarometer geben nur 6 Prozent der Bundesbürger den deutschen Schulen die Schulnote 1 und weitere 23 Prozent die Schulnote 2, wobei es interessante Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt: Am positivsten sehen die Bayern ihr Schulsystem - 40 Prozent geben ihm die Noten 1 oder 2. Am schlechtesten von allen 16 Bundesländern schneidet Bremen ab. Nur 18 Prozent der Einwohner geben dem Bildungsangebot in der Freien Hansestadt die Note 2 oder besser.
Und wie schneidet das deutsche Bildungssystem im internationalen Vergleich ab? Dazu hat Ipsos kürzlich eine Umfrage in 30 Ländern durchgeführt. Im Ländervergleich liegt Deutschland bei der Zufriedenheit mit dem Bildungssystem auf Platz 18 von 30, hinter Südkorea und vor Belgien. Mehr als die Hälfte der Deutschen (55 %) ist der Meinung, dass sich das Schulsystem seit ihrer Schulzeit verschlechtert hat. In den aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens wie Malaysia (58 %), Thailand (56 %), Indonesien (58 %) und Indien (51 %) überwiegt dagegen die Meinung, dass sich das Bildungssystem verbessert hat.
Kritisch sehen die Deutschen auch die Qualität der Ausbildung an den Hochschulen. Nur 41 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Studierenden an deutschen Universitäten gut auf das Berufsleben vorbereitet werden. Damit liegt Deutschland auf Platz 26 von 30 untersuchten Nationen (gleichauf mit Frankreich und Polen) und weit hinter den Ländern des globalen Südens. Auch die Ausstattung mit Büchern, Technik und Laboren wird in Deutschland als schlecht bewertet. Nur 28 Prozent halten sie für ausreichend. Auch hier liegt Deutschland auf den hinteren Plätzen (26 von 30).
Am traurigsten ist jedoch das Urteil der Bürgerinnen und Bürger über den Beitrag der Bildung zur Chancengleichheit. Nur 35 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass das Bildungssystem in unserem Land zu sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit beiträgt.
Kurzum: Obwohl die Qualität des Bildungssystems in Deutschland im Durchschnitt als schlecht wahrgenommen wird, gibt es dennoch bemerkenswerte regionale Unterschiede. Im internationalen Vergleich wird das deutsche Bildungssystem als nicht leistungsfähig genug eingeschätzt, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu sichern und soziale Ungleichheiten durch Bildungsgerechtigkeit auszugleichen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Leider geraten diese wichtigen Themen im überhitzten politischen Diskurs oft ins Hintertreffen.“
Grüne Kanzlerkandidatur 2025 - wenig Chancen für Habeck (21.08.2024)
Nach dem Verzicht von Annalena Baerbock auf eine erneute Kanzlerkandidatur führt nun kein Weg mehr an Robert Habeck vorbei. Doch wie stehen seine Chancen? Dr. Robert Grimm, Leiter der Politik- und Sozialforschung bei Ipsos, schätzt die Lage ein.
"Lange haben sich die Grünen in der Frage der Kanzlerkandidatur bei der Bundestagswahl bedeckt gehalten. Spätestens seit dem spektakulären CNN-Interview von Annalena Baerbock, in dem sie eine erneute Kanzlerkandidatur ausschloss, steht Habecks Haltung dazu im Fokus. In einem Interview mit dem Nachrichtenportal Politico machte er nun erstmals deutlich, dass er bei der Bundestagswahl 2025 als Kanzlerkandidat für die Grünen antreten würde. 'Ich möchte mich gerne in die Verantwortung nehmen lassen - für Deutschland, für meine Partei, für das Projekt, für die Demokratie', so Habeck. Doch wie stehen Habecks Chancen, Bundeskanzler zu werden?
Derzeit ist es eher unwahrscheinlich, dass die Grünen nach der Bundestagswahl 2025 genügend Stimmen erhalten, um den Regierungschef zu stellen. In der Wählergunst liegt die Partei laut Ipsos-Wahlprognose mit 13 Prozent nur an vierter Stelle hinter den Unionsparteien (30 Prozent), der AfD (16 Prozent) und der SPD (14 Prozent). Unabhängig vom Abschneiden der Partei überzeugt auch die Person Robert Habecks die Wählerinnen und Wähler nicht. Auf die Frage nach der am besten geeigneten Person für das Amt des Regierungschefs votierten 6 Prozent der von Ipsos Befragten für Habeck. Das ist ein Prozentpunkt weniger als für Olaf Scholz und sogar zwei Prozentpunkte weniger als für Alice Weidel. Die Zufriedenheitswerte für den Wirtschaftsminister haben sich zwar erholt, bleiben aber auf einem katastrophalen Niveau. 53 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind mit seiner Arbeit unzufrieden. Schließlich ist Habeck auch eine prominente Figur in der von seinem Parteikollegen Omid Nouripour gescholtenen „Übergangsregierung“. Habeck ist mitverantwortlich für das Scheitern der Ampelregierung und damit wahrlich nicht prädestiniert, eine künftige Koalition zu führen."
Olympia – Geringes Interesse in Deutschland (31.07.2024)
(Dr. Robert Grimm, Leiter Politik- und Sozialforschung)
"Wie viele andere verfolge ich mit großer Aufmerksamkeit die Leistungen der Sportlerinnen und Sportler bei Olympia mit großer Aufmerksamkeit. Ich selbst habe mich als Amateursportler so manchem Wettkampf hingegeben (gequält) und weiß daher aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, darauf hinzuarbeiten, den Trainingsplan diszipliniert einzuhalten und – was mir immer besonders schwer fällt – auch das Gewicht auf die angestrebte Zieleinlaufzeit einzustellen. Und dann muss man am Tag X auch noch gesund sein, es muss einfach alles passen. Die Sportlerinnen und Sportler arbeiten mehrere Jahre auf die Spiele hin, Olympia ist der Höhepunkt ihrer Karriere. Wer dann die Medaille um den Hals tragen darf, ist ein Volksheld – auch in Deutschland. Die Summe der Medaillen kann auch als Indikator dafür gelten, wie es um den Sport in einem Land bestellt ist.
Leider hakt es damit in Deutschland. Im Medaillenspiegel liegt unser Land am Ende nur auf Platz 10. Auch die Begeisterung der Deutschen für Olympia ist vergleichsweise gering. Laut einer internationalen Ipsos-Umfrage interessieren sich nur 46 Prozent für die Spiele. In Großbritannien und Australien sind es 59 Prozent, in den USA immerhin noch 51 Prozent. Zwar sind etwas mehr als die Hälfte (51 %) der Deutschen der Meinung, dass die Olympischen Spiele zum sozialen Zusammenhalt im Land beitragen, doch liegt Deutschland damit nur auf dem vorletzten von 33 Plätzen, noch vor Polen. Noch negativer ist die Position Deutschlands bei der Frage, ob uns das Sportereignis stolz auf unser Land macht - 51 Prozent der Bürgerinnen und Bürger bejahen diese Frage, womit Deutschland auf dem letzten von 33 Plätzen landet. Insgesamt begeistern sich die Menschen in den Ländern des „globalen Südens“ am meisten für die Spiele, während das Interesse bei den Europäern gering ist.
Ich persönlich freue mich über jede Medaille und fiebere mit den deutschen Sportlerinnen und Sportlern mit. Und was die Gesundheit des deutschen Sports angeht, gibt es viele Ansatzpunkte für eine langfristige Verbesserung, z. B. Investitionen in Infrastruktur und Angebote sowie die Stärkung der Vereinswelt. Und natürlich ist der Wettbewerb genauso wichtig wie der Spaß (oft liegt der Spaß genau darin), vielleicht sollte diese Einstellung wieder stärker vermittelt werden.
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