Kanzlerfrage und Koalitionspräferenzen – Entwicklungen
Am 23. Februar 2025 wird ein neuer Bundestag gewählt. Friedrich Merz (CDU) ist laut aktueller Ipsos-Umfrage derzeit favorisierter Kanzlerkandidat.

Ipsos befragte insgesamt 1.000 Wahlberechtigte im Alter von 18 bis 75 Jahren, die aus einer Liste möglicher Kanzlerkandidat:innen die aus ihrer Sicht geeignetste Person auswählen sollten. Neben Merz standen den Befragten für die Kanzlerfrage der amtierende Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sowie die AfD-Kandidatin Alice Weidel zur Auswahl.
Aktualisiert am 05. Februar 2025
Kanzlerfrage & Koalitionswünsche
Merz führt bei der K-Frage, Scholz auf letztem Platz
Oppositionsführer Friedrich Merz wird weiterhin von 18 Prozent der Befragten als geeignetster Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers angesehen. Er bleibt damit auch nach seinem Vorstoß in der Migrationspolitik der bevorzugte Kanzlerkandidat der Deutschen. An zweiter Stelle folgt Alice Weidel von der AfD mit 17 Prozent (+1). Dahinter liegt der grüne Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidat Robert Habeck mit 12 Prozent (-1) auf dem dritten Platz, dicht gefolgt von Olaf Scholz, den nur 11 Prozent (+1) für den geeignetsten Kandidaten halten. Scholz liegt damit bei der Kanzlerfrage auf dem letzten Platz – weit hinter seinem Herausforderer Friedrich Merz von der CDU.
Bemerkenswert: Ein Drittel der Wahlberechtigten (33 %) empfindet keine der genannten Personen als geeignet für das Kanzleramt, weitere 9 Prozent können oder wollen sich zu dieser Frage nicht äußern.
Merz und Weidel punkten bei Kanzlerfrage vor allem bei Männern
Unionskandidat Friedrich Merz überzeugt vor allem die männliche Wählerschaft. 21 Prozent der Männer halten ihn für den geeignetsten Kandidaten. Bei den weiblichen Wählerinnen kann er dagegen nur 15 Prozent für sich gewinnen. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Alice Weidel: Auch die Bundessprecherin der AfD kommt bei Männern besser an als bei Frauen. Während 20 Prozent der männlichen Befragten sie für die geeignetste Kandidatin halten, sind nur 14 Prozent der Frauen dieser Meinung. Bundeskanzler Olaf Scholz überzeugt 12 Prozent der Männer und 9 Prozent der Frauen, bei Robert Habeck gibt es mit jeweils 12 Prozent Zustimmung keine geschlechtsspezifischen Unterschiede.
Auffällig ist, dass der Anteil derjenigen, die keinen Kandidaten für geeignet halten oder unentschieden sind, bei den Frauen mit 50 Prozent deutlich höher liegt als bei den Männern mit 35 Prozent.
Merz bei Älteren beliebt, Weidel gewinnt Kanzlerfrage bei Jüngeren
Unionskandidat Friedrich Merz überzeugt insbesondere die ältere Wählerschaft in der Kanzlerfrage. 20 Prozent der 60- bis 75-Jährigen und 21 Prozent der 40- bis 59-Jährigen halten ihn für den geeignetsten Kanzlerkandidaten. In der jüngsten Altersgruppe der 18- bis 39-Jährigen kann er in der K-Frage aber nur 13 Prozent der Befragten für sich gewinnen.
Ein anderes Bild ergibt sich für den grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck, der bei jungen Wähler:innen am beliebtesten ist. Mit 17 Prozent Zustimmung liegt er bei den 18- bis 39-Jährigen vor seinen Konkurrenten Merz und Scholz. Bei den 40- bis 59-Jährigen sprechen sich allerdings nur 9 Prozent für Habeck aus und bei den Älteren ebenfalls nur 10 Prozent. AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel überzeugt vor allem jüngere Wähler:innen (24 %) und Befragte mittleren Alters (17 %).
Wer wird Kanzler in Deutschland? Assoziationen & ihr Einfluss
Die Kanzlerfrage beantworten viele Deutsche jedoch auch danach, welche Kandidat:innen sie als besonders vertrauenswürdig bzw. sympathisch und qualifiziert einschätzen. Die Befragten wurden deshalb gebeten, für jeden der vier Kanzlerkandidat:innen aus einer Liste von positiven und negativen Attributen diejenigen auszuwählen, die sie am stärksten mit der jeweiligen Person verbinden. Dabei wurden für alle vier zur Wahl stehenden Politiker:innen vor allem negative Attribute wie „realitätsfern“ oder „unglaubwürdig“ ausgewählt.
Sympathie & Leistung von Politiker:innen entscheidet
Mit Blick auf Sympathie und Professionalität schneidet Friedrich Merz auch bei dieser Frage besser ab als seine Mitbewerber:innen. Merz wird mit fast allen negativen Attributen seltener in Verbindung gebracht als Scholz, Habeck und Weidel. Lediglich bei den Attributen „abgehoben“ (31 %) und „egozentrisch“ (26 %) wird er am häufigsten genannt. Zudem liegt er bei „populistisch“ (18 %) deutlich vor Scholz (3 %) und Habeck (6 %). Punkten kann er für die Kanzlerfrage vor allem durch positive Attribute wie „kompetent“ (15 %).
Bundeskanzler Scholz und Vizekanzler Habeck werden insbesondere mit den Attributen „inkompetent“ (beide 32%), „realitätsfern“ (Scholz: 30%, Habeck: 32%), „unglaubwürdig“ (Scholz: 31%, Habeck: 28%) und „unzuverlässig“ (Scholz: 29%, Habeck: 22%) beschrieben. Knapp ein Drittel der Deutschen (29%) hält Scholz zudem für „unehrlich“. Gleichzeitig wird der amtierende Bundeskanzler von allen vier Kandidat:innen am häufigsten als „erfahren“ (14%) und „geduldig“ (16%) wahrgenommen. Robert Habeck liegt beim Attribut „verantwortungsvoll“ (13%) leicht vor seinen Mitbewerber:innen.
Ablehnung einer Regierungsbeteiligung der AfD zeichnet sich ab
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel wird im Rahmen der Kanzlerfrage häufiger als die anderen Kanzlerkandidaten mit den negativen Attributen „populistisch“ (33 %), „realitätsfern“ (33 %), „verantwortungslos“ (27 %) und „unehrlich“ (31 %) in Verbindung gebracht. Obwohl sie gleichzeitig häufiger als „bürgernah“ (13 %) und vor allem als „durchsetzungsstark“ (19 %) wahrgenommen wird, lehnt ein Großteil der Bürger:innen eine Regierungsbeteiligung ihrer Partei weiterhin ab, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall bzw. in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuft wird.
Wählerstimmen zur Kanzlerfrage: Wirtschaftslage & staatliche Maßnahmen als Kernthemen
Dr. Hans-Jürgen Frieß, Ipsos infas-Experte für qualitative Politik- und Sozialforschung, beschreibt die Gründe für das wenig schmeichelhafte Wählerurteil wie folgt: „Die Wählerinnen und Wähler sind aus verschiedenen Gründen unzufrieden mit den diesjährigen Kanzlerkandidaten: Mit Olaf Scholz und Robert Habeck treten zwei Hauptverantwortliche für eine gerade in jüngster Zeit sehr unpopuläre und wenig überzeugende Ampel-Regierung als Kanzlerkandidaten an. Bei Scholz zeigt sich eine Ambivalenz in der Bewertung seiner Person selbst bei auf den ersten Blick positiven Attributen. Duldsamkeit etwa wird oft als Schwester von Unentschlossenheit und Entscheidungsschwäche interpretiert – was Scholz in den Augen vieler ungeeignet macht, Deutschland durch schwierige Zeiten zu navigieren." Ein Teilnehmer unserer Ipsos Online Community drückt dies so aus:
Olaf Scholz verbinde ich mit Unentschlossenheit. Seine zurückhaltende Art wirkt auf mich oft kraftlos, was ich in schwierigen Zeiten als negativ empfinde.
Während Alice Weidel insgesamt stark polarisiert und als politische Person mehrheitlich abgelehnt wird, profitiert Friedrich Merz zumindest von seiner Kompetenz in Wirtschaftsfragen – dem zum Zeitpunkt der Befragung wichtigsten Thema in Deutschland. Ein über Parteigrenzen hinweg geschätzter, vereinender Sympathieträger ist aber auch Merz nicht. Das zeigen zwei weitere Zitate aus unserer Community:
Merz [und Weidel] sind mir menschlich sehr unsympathisch und treten meiner Meinung nach reißerisch und unruhestiftend auf.
Aber eben auch:
Friedrich Merz steht für mich für Wirtschaftskompetenz. Seine klaren Aussagen in wirtschaftlichen Fragen finde ich positiv […].
Die aktuelle Wirtschaftslage wurde in Deutschland bereits in der jüngeren Vergangenheit als großes Problem wahrgenommen. Viele Befragte wünschen sich in diesem Zusammenhang eine stärkere Unterstützung des Wirtschaftswachstums sowie finanzielle Hilfen. Diese Thematik beeinflusst somit stark die Kanzlerfrage heute und die Wahlen in der Zukunft. Von einem möglichen CDU-Kanzler Friedrich Merz erhofft sich ein großer Teil der Bevölkerung konkrete Maßnahmen in diesem Bereich.
Nach Migrationsdebatte: Zustimmung zu schwarz-blauer Koalition wächst
Zusätzlich zur Kanzlerfrage bat Ipsos die Wahlberechtigten zu erklären, welche Koalition sie sich für die neue Regierung nach der Bundestagswahl wünschen. Nach der Abstimmung über den Unions-Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik, der im Bundestag mit den Stimmen der AfD angenommen wurde, wächst die Zustimmung zu einer möglichen schwarz-blauen Koalition. Unter allen denkbaren Regierungskonstellationen erreicht die Koalition aus Union und AfD mit 23 Prozent den höchsten Wert. Im Vergleich zur letzten Ipsos-Umfrage von Mitte Januar bedeutet dies einen Anstieg um 5 Prozentpunkte.
Der größte Anteil der Befragten ist jedoch von keiner der möglichen Regierungsoptionen überzeugt, ähnlich wie schon bei der Kanzlerfrage. Mehr als ein Drittel der Deutschen (35 % | -2) will sich auf keine der abgefragten Koalitionen festlegen.
Schwarz-grüne Koalition immer unbeliebter
Jede:r fünfte Deutsche (19 %) würde nach der Bundestagswahl eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD bevorzugen. Dieser Anteil hat sich seit der letzten Umfrage vor zwei Wochen nicht verändert. Eine schwarz-grüne Koalition wird dagegen nach der Migrationsdebatte nur noch von 5 Prozent der Deutschen favorisiert, 3 Prozentpunkte weniger als bei der letzten Befragung. Ähnlich gering ist die Zustimmung für eine schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition (8 % | -1), eine schwarz-rot-gelbe Deutschland-Koalition (7 % | +1) und eine schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition (3 % | ±0).
Die Ablehnung der meisten Koalitionsoptionen und die vergleichsweise hohe Zustimmung zu einer schwarz-blauen Koalition deuten auf eine zunehmende Fragmentierung und Polarisierung des politischen Spektrums hin. Viele Wähler:innen finden sich in den aktuellen politischen Konstellationen kaum wieder oder sind mit den bestehenden Alternativen unzufrieden.
Dr. Robert Grimm, Leiter der Politik- und Sozialforschung bei Ipsos in Deutschland, ordnet die Verschiebung ein:
Der offensive Vorstoß von Friedrich Merz, eine restriktive Migrationspolitik mit den Stimmen der in Teilen gesichert rechtsextremen AfD durch den Bundestag zu peitschen, hat die politische Mitte in unserem Land pulverisiert. Ja, es ist richtig, die Entscheidung von Merz zu hinterfragen, mit rechtspopulistischen Geschichtsrevisionisten zusammenzuarbeiten. Aber dem Aufschrei von SPD und Grünen müssen konkrete Lösungen folgen. Denn die Bürgerinnen und Bürger sind es leid, die immer wiederkehrenden Bilder brutaler Gewalttaten tatenlos hinzunehmen. Deshalb hat Merz mit seiner Entschlossenheit, den Unions-Antrag kompromisslos mit den Stimmen der AfD durchzusetzen, einige Wählerinnen und Wähler durchaus beeindruckt.
Methode unserer Befragung zur Kanzlerfrage
Quotierte Online-Befragung von 1.000 Wahlberechtigten zwischen 18 und 75 Jahren in Deutschland, repräsentativ gewichtet nach Alter, Geschlecht, Bildung, Region und Wahlverhalten bei der letzten Bundestagswahl. Die Meinungsumfrage zur Kanzlerfrage und zu Regierungsbündnissen wurde vom 16. bis 18. Januar 2025 durchgeführt.
Die Zitate stammen von Teilnehmenden der Ipsos Community. Diese haben Ipsos im Rahmen einer Eigenstudie zwischen dem 15. und 19. Januar 2025 ihre Gründe für die Auswahl der Attribute der Politiker:innen mitgeteilt und damit die Analyse der Entwicklungen zur Kanzlerfrage unterstützt.