Wer kümmert sich um den Klimawandel? Menschen und ihre Beweggründe verstehen
Wen kümmert der Klimawandel, wer sieht wen in der Verantwortung? In Studien wird gezeigt, wie die Menschen in Deutschland und der Welt zum Thema Klimawandel und seiner Bekämpfung stehen.
Obwohl wir wissen, dass die Sorgen der Menschen in der Regel von unmittelbaren Problemen dominiert werden, sei es die Corona-Pandemie oder die Inflation, zeigen die Umfragen, dass Klimawandel, Armut und soziale Ungleichheit über Jahre konstante und wichtige Anliegen bleiben, die die Menschen auf der ganzen Welt teilen. So sind Dreiviertel (77%) der Deutschen davon überzeugt, dass wir auf eine Umweltkatastrophe zusteuern, wenn wir unsere Gewohnheiten nicht schnell ändern.
Bürger:innen sehen auch sich in der Pflicht
Dabei werden laut einer internationalen Studie zum Earth Day 2023 in Deutschland Regierung (49%), Unternehmen (49%) und Bürger:innen (54%) gleichermaßen in der Pflicht gesehen, um zukünftige Generationen jetzt nicht im Stich zu lassen. Zwei Drittel (65%) der Deutschen sind davon überzeugt, dass selbst kleine Änderungen im Alltag eines jeden einen großen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten können. Die Verbraucher:innen sagen auch mehrheitlich, dass sie wissen, was sie persönlich tun können, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten.
Der Believe-True-Gap
Wir sehen allerdings auch, dass Menschen weltweit dazu neigen, einigen Klimaschutzmaßnahmen eine weitaus größere Wirkung auf die Emissionsreduzierung zuzuschreiben, als sie tatsächlich haben. So ist auch in Deutschland jede:r Dritte (32%) der Meinung, weniger Verpackungsmaterial helfe am wirkungsvollsten im Kampf gegen den Klimawandel. Knapp jede:r Vierte (25%) meint, dass Recycling ein wichtiger Faktor sei, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. Dabei liegen beide Maßnahmen laut der „Studie zur Wirksamkeit von Klimaschutzmaßnahmen" (Ivanova et al, 2020) nur auf Platz 38 bzw. 60 der Wirksamkeitsrangliste. Das wirksamste Mittel zur Reduzierung von CO2-Emissionen, der Verzicht auf ein Auto, zählen nur 19 Prozent der Deutschen zu den effizientesten Klimaschutzmaßnahmen.
Die Menschen neigen dazu, die Maßnahmen mit den geringsten Auswirkungen zu überschätzen und die Maßnahmen mit den größten Auswirkungen zu unterschätzen. Wir nennen das den Believe-True-Gap:
Die Lücke zwischen Glauben und Wahrheit schließen
Die Bevölkerung wünscht sich einerseits finanzielle Anreize, um mehr umweltfreundliche Produkte oder Dienstleistungen erwerben zu können (36%), aber 27 Prozent geben außerdem an, es würde ihnen helfen, wenn sie leichten Zugriff auf Tipps und Maßnahmen hätten, die sie tagtäglich im Kampf gegen den Klimawandel umsetzen können.
Dabei sind Regierungen und Unternehmen gleichermaßen gefordert. Um die Menschen mitzunehmen, ist eine umfassende und transparente Kommunikation über Hintergründe und notwendige Veränderungen unerlässlich. Eine Maßnahme wäre, den kognitiven Aufwand zu verringern, der für Konsument:innen bei der Navigation in diesem komplexen Bereich erforderlich ist. Selbst wenn die Menschen verantwortungsbewusst handeln wollen, wie sollen sie zwischen "recyclebar" und "aus recycelten Materialien hergestellt" und "aus regionaler Produktion" und "biologisch" und "aus fairem Handel", "ethisch" und mehr unterscheiden können? Wie durch immer neue Lebensmittelkennzeichnungen wie Nutri-Score, Lebensmittel Ampel oder Haltungsformen bei Fleisch durchsteigen?
Ein guter Schritt auf diesem Weg könnte der „Bürgerrat Ernährung im Wandel" sein, der im September 2023 durch einen Bundestagsbeschluss ins Leben gerufen wurde. Die über ein mehrstufigen Zufallsverfahren als Teilnehmende ausgewählten 160 Bürger:innen beschlossen nach acht Tagungsterminen Mitte Januar neun Empfehlungen zum Thema „Ernährung im Wandel: zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben", die an die Fachausschüsse der Fraktionen zur weiteren Bearbeitung weitergeleitet werden. In der übergreifenden Empfehlung heißt es, dass Aufklärung und Bildung das Fundament für alle anderen Empfehlungen des Bürgerrats sind. So werden neben kostenfreiem, gesundem Mittagessen in Schulen und Kitas und Verbauchsabgaben für das Tierwohl auch verpflichtende staatliche Lebensmittellabel zu den Bereichen Klima, Tierwohl und Gesundheit empfohlen.
Menschen verstehen mit Markt- und Meinungsforschung
Politische Initiativen wie diese gehen dabei tatsächlich ähnlich vor wie Unternehmen, oft werden auch hier Markt- und Meinungsforschungsinstitute beauftragt, um im ersten Schritt Aufschluss über die Meinung und das Verhalten der Menschen zu erfahren, bevor daraus konkrete Maßnahmen abgeleitet werden. Dass es nicht ganz einfach ist, die wahren Beweggründe des Einzelnen zu ermitteln, wissen wir aus unserer Forschung im Bereich Behavioural Science. Denn die menschlichen Entscheidungsprozesse sind komplex und sie zu verstehen und zu beeinflussen ist eine Herausforderung. Eins wird in unseren Studien jedoch immer deutlicher: die Bereitschaft, das Konsumverhalten ausschließlich der Nachhaltigkeit unterzuordnen ist quasi gleich null. Um eine Verhaltensänderung herbeizuführen, muss eine nachhaltige Alternative immer auch weitere Nutzen bieten, zum Beispiel günstiger, gesünder oder einfacher in der Anwendung sein. Entsprechend sollten Unternehmen in ihrem Marketing Nachhaltigkeit nicht als Haupt- oder gar alleinigen Nutzen von Produkten oder Dienstleistungen herausstellen.
Fakt ist, dass die langfristige Zukunft von Unternehmen nur eine nachhaltige sein kann. Infolge des immer deutlicher werdenden Klimawandels und starker sozialer Bewegungen (Black Lives Matter, #metoo etc.), ebenso aufgrund neuer Gesetzgebungen, müssen Unternehmen handeln, und zwar sowohl für Investor:innen, für die ESG als Basis für einen langfristigen Wert gesehen wird, als auch für die Verbraucher:innen, die ihren Beitrag zu einer nachhaltigeren Welt leisten wollen.