In Corona-Zeiten: soziale Bindungen halten den Wohlstand hoch
Die regelmäßige Messung des NAWI-D (Nationaler Wohlstandsindex für Deutschland) zeigt gegenüber der letzten Vor-Corona-Messung im Dezember 2019 eine leicht negative Tendenz. 52 Prozent der Deutschen stufen ihren derzeitigen Wohlstand als hoch ein, ein Minus von 1,5 Prozentpunkten gegenüber der Dezember Messung. Einmal mehr zeigt sich bei einem Vergleich einzelner Bestimmungswerte des NAWI-D, dass zum Wohlstand der Deutschen nicht nur materielle Dinge beitragen.
Im Vergleich zum Dezember 2019 sinkt während der Krise (NAWI-D Messung im Juni 2020) der Anteil der Bevölkerung, der keine großen finanziellen Sorgen hat (-2 Prozentpunkte). Auch reduziert sich der Anteil, der seiner Meinung nach ausreichend viel Eigentum besitzt (-2). Außerdem meinen weniger Befragte von sich, sich fast alle materiellen Wünsche erfüllen zu können (-1).
Soziale Werte steigen in der Pandemie
Gleichzeitig steigen die Werte abseits des Materiellen. Immer mehr Bundesbürger meinen, für andere da zu sein (+3) und kommen mit Menschen aus anderen Kulturen zusammen (+3). Ein großer Zuwachs verzeichnet der NAWI-D bei Menschen, die von sich sagen, im Einklang mit der Natur (+6) und umweltbewusst (+9) zu leben – Bereiche, die vermutlich auch positiv zum gesamten Wohlergehen beitragen. Die sehr starken Kontakte zu Familie und Freunden (etwa drei von vier Deutschen sind mit ihren sozialen Kontakten überaus zufrieden) waren schon immer vorhanden, und sind geeignet, die jetzt zum Teil durch die Krise verursachten materiellen Einschränkungen zu kompensieren.
„Corona hat das Leben (Arbeitswelt, Reise- und Freizeitmöglichkeiten, Einkaufsverhalten) für viele Deutsche beeinträchtigt. Die große Mehrheit der Deutschen hat sich jedoch offenbar mit den Gegebenheiten arrangiert und das eigene Wohlbefinden hat durch Covid-19 bisher keinen dramatischen Absturz, sondern nur einen Dämpfer erhalten. Wenn es in diesen Zeiten Einschränkungen beispielsweise bei den Reisemöglichkeiten gibt, so können viele das akzeptieren und schränken die Reisewünsche entsprechend ein. Neben dem geänderten Anspruchsdenken basiert der weiterhin hohe empfundene Wohlstand vor allem auf dem Umstand, dass die meisten Deutschen mit ihrem sozialen Umfeld sehr zufrieden sind“, so Hans-Peter Drews, der zuständige Projektleiter für den NAWI-D bei Ipsos.
Zukunftsforscher Opaschowski: in der Krise ist das soziale Umfeld ein persönlicher Lebensgewinn
Auch für Zukunftsforscher Professor Opaschowski sorgen die sozialen Wohlstandsfaktoren dafür, dass die Menschen in der Krise nicht herunterfallen oder Armutsrisiken ausgesetzt werden. „Wohlhabend ist der, der sich sozial abgesichert und geborgen fühlt. Beziehungsreichtum ist der neue Wohlstand der Deutschen. Dazu gehören der Meinungs- und Gedankenaustausch, das Zusammensein mit anderen sowie das Füreinander-da-Sein, wenn es die Situation erfordert. Sichere Arbeitsplätze und sichere Renten bleiben unverzichtbar, aber subjektiv wichtiger wird in der Krise das soziale Umfeld als persönlicher Lebensgewinn eingeschätzt. Familie, Freunde, Nachbarn und soziale Netze sorgen für Stabilität und Sicherheit in Corona-Zeiten.
Opaschowski glaubt allerdings, dass es für die jüngere Generation deutlich schwieriger wird, in Zukunft ebenso abgesichert und im Wohlstand zu leben wie die Elterngeneration. „Die nächste Generation muss Abschied nehmen von einer Wachstumsillusion, die Wachstum ‚nur‘ in Geldgrößen misst. Wachsen sollen für sie auch Lebensqualität und soziale Geborgenheit. Dies ist ein neues Sinnwachstum. In anhaltenden Krisenzeiten helfen soziale Kontakte und gemeinnütziges Denken, materielle Wohlstandseinbußen eher zu akzeptieren oder gar auszugleichen. Inmitten von Netzwerken Gleichgesinnter lässt sich für viele genauso gut und glücklich leben, weil der materielle Wohlstand nicht mehr allein im Zentrum des Lebens steht.“
Steckbrief NAWI-D
Im Frühjahr 2012 konzipierte Ipsos gemeinsam mit Zukunftsforscher Prof. Dr. Opaschowski ein neues Wohlstandsbarometer als Basis für einen umfassenden Nationalen WohlstandsIndex für Deutschland (NAWI-D), das seitdem kontinuierlich quartalsweise erhoben wird.
Methode: Ipsos Capibus Computer Assisted Personal Interviewing im Haushalt des Befragten. Random route - Zufallsauswahl der Haushalte und Befragungspersonen.
Stichprobe: 2.000 Personen ab 14 Jahren je Erhebungswelle.
Grundgesamtheit: Deutschsprechende Bevölkerung in Privathaushalten.
Feldzeit: jeweils in den Monaten März, Juni, September und Dezember.
Für die Erhebungen zum Wohlstandsbarometer greift Ipsos auf seinen eigenen bundesweiten Stab an Interviewern zurück, der erfahren in der Durchführung sozialwissenschaftlicher Studien mit anspruchsvollen Designs ist. Die Daten-erhebung erfolgt mittels persönlicher Interviews in den Zielhaushalten im Rahmen von wöchentlichen CAPI-Mehrthemenumfragen.
Berechnung der Wohlstandswirklichkeit im Ipsos NAWI-D
Über bevölkerungsrepräsentative Vorbefragungen wurde eine Batterie von 30 Aussagen entwickelt, die das Thema Wohlstand aus Sicht der erwachsenen Wohnbevölkerung in Deutschland umfassend abdeckt. Diese 30 Aussagen wurden in wiederum bevölkerungsrepräsentativen Umfragen Bundesbürgern ab 14 Jahren vorgelegt. Die Bürger selbst entscheiden, welche dieser Aussagen für sie erfüllt sein müssen, um in Wohlstand zu leben. Die Einstufung, ob diese Aussagen für sie in der Realität erfüllt sind, erfolgt anhand einer 10er-Skala, die von 1 = „trifft für mich überhaupt nicht zu“ bis 10 = „trifft auf mich voll und ganz zu“ reicht. Sofern nicht anders aufgeführt, wird im Text auf die so genannten Top 3 - Werte bzw. deren Komplementärgröße zurückgegriffen. Der Top 3 - Wert zu einer Aussage enthält somit die Skalenwerte 8, 9 und 10. Dann wird die Aussage für den Befragten als ausreichend erfüllt angesehen. Bei den Werten 1 – 7 wird sie als nicht ausreichend erfüllt angesehen. Die bei jeder Aussage gemessene Wohlstandswirklichkeit wird mit deren jeweiligen Bedeutung in Bezug gesetzt, d. h. gewichtet. Daraus wird für jede Wohlstands-dimension als auch für den Wohlstand insgesamt der NAWI-D berechnet.